Die Notwendigkeit der Bilder
Wodurch erkennt sich der Mensch?
Jeder Mensch erkennt sich zunächst durch sein Abbild.
Da wir Menschen sind, bedürfen wir der Bilder.
Was ist der Spiegel?
Er ist ein Bilderrahmen, in dem sich dein Spiegelbild befindet und der dich dir zeigt. Jedes Mal aufs Neue zeigt er ein anderes Abbild von dir, sodass du dich stets neu erkennst. »Schau«, sagt er, »gestern warst du so, heute bist du so, vorhin warst du so, jetzt bist du so.« Je nach deiner Pose zeigt der Spiegel eine andere Silhouette von dir.
Was er dir zeigt, ist aber nur ein Trugbild von dir. Am Anfang beim ersten Anblick magst du noch denken und dich freuen: »Schaut alle her, das bin ich. Das hier bin ich auch noch mal und das hier bin ich ja schon wieder.«
Die Bilder sind ein untrennbarer Bestandteil des Menschen: er existiert durch sie und erlangt durch sie Vollkommenheit. Daher könnte der Mensch ohne Bilder nicht sein. Selbst dein Pass wird erst mit einem Bild von dir akzeptiert. Ohne ein Bild, ist der Pass nicht gültig und du wirst nicht anerkannt. »Wer bist du?«, fragen sie dann und weisen dich aus.
Dein Erscheinungsbild ist deine Identität, die sich der Außenwelt offenbart. Solange wir noch auf diese Welt mit den Augen des Kopfes schauen, bleibt dies so. Für diejenigen, die mit den Augen ihres Kopfes schauen, sind Bilder unverzichtbar und diese werden entsprechend ihrer Wahrnehmung der Bilder interpretiert.
Warum bedarf der Mensch des Bildes?
Die Außenwelt des Menschen werden durch Bilder gebildet und seine Innenwelt durch die Bedeutungen. Gäbe es die Bilder nicht, so könnten wir die Bedeutungen nicht erfassen und verstehen. Um einer Sache eine Bedeutung zu geben bzw. sie zu interpretieren, müssen wir diese Sache zunächst einmal gesehen haben. Daher ist der Name Bedingung und Vorraussetzung für die Manifestation des Bildes.
Warum? Denn durch die Namen entstehen die Bedeutungen. Aus diesem Grund sind die Bedeutungen auf die Namen und die Namen auf die Bedeutungen angewiesen. Die Manifestation des einen hängt vom anderen ab. Sonst könnte keines davon sichtbar in Erscheinung treten. Sowohl die Namen als auch die Bedeutungen existieren seit der Vorewigkeit bis in die Ewigkeit, aber sie können ohne ein spezifisches Bild nicht in Erscheinung treten, sodass sie bezeugt werden können.
Von diesem Blickpunkt aus, ist jedes in Erscheinung bringende und sichtbar machende Bild ein Teil unserer Wahrheit und deswegen sind Menschen in die Bilder verliebt, vernarrt und ihnen verfallen. So rührt in Wirklichkeit die Liebe der Menschen für ihr physisches Wesen daher, aber jene Menschen, denen das Licht des Verstandes noch nicht aufgegangen ist, begreifen das nicht und vergöttern bewusst oder unbewusst ihr physisches Wesen.
Warum ist nicht jeder Mensch gleich und warum hat nicht jeder die gleichen Vorlieben?
Sowohl die Individualität des Menschen als auch seine ihm eigenen Vorlieben und Abneigungen entstehen dadurch, dass er in den Formen, die er beim Betrachten des Spiegels der Existenz wahrnimmt, ein Abbild von sich entdeckt und identifiziert.
In Wirklichkeit ist der Mensch nämlich ein Makrokosmos und enthält in seinem Wesen die ganze Existenz. Aus diesem Grund sieht der Mensch überall wo er hinschaut ein Abbild von sich. Die Bilder, die ihm gefallen, sind Abbilder von dem, was er an seinem Wesen mag, und die Bilder, die ihm nicht gefallen, sind Abbilder, von dem, was er an seinem Wesen nicht mag. Nur gemeinsam mit dem, was einem gefällt und nicht gefällt, wird man zum Menschen und man existiert nur zusammen mit diesen Gegensätzen.
Jedoch ist nicht alles, was wir mögen, auch richtig für uns und nicht alles, was wir nicht mögen, falsch. Allein der Schöpfer, der den Mensch aus dem Nichts ins Dasein brachte, kann dem Menschen empfehlen, was er lieben sollte und was nicht. Der Mensch kann dies nicht selbstständig entscheiden.
Kurzum, dort, wo es keine Bilder gibt, existiert das Nichtsein. Mit dem Ausdruck „Nichtsein“ meinen wir gestaltlos sein. Eigentlich ist unsere innere Wirklichkeit stets präsent, aber durch das Nichtsein des Bildes, kann sie nicht Gestalt annehmen, um sich zu zeigen, sondern bleibt im Verborgenen. Sie kann nicht in Erscheinung treten.
Etwas, was nicht zum Vorschein kommt und geheim bleibt, ist nicht nicht-existent, sondern wohl eher unbekannt. Du magst zwar behaupten, es gäbe es nicht, weil du sein Bild nicht sehen kannst, aber eigentlich ist es präsent oder du siehst es nur nicht, weil es farblos und transparent ist.
Warum?
Denn in Wirklichkeit sind alle Punkte, Striche, Bilder, Klänge und Worte Farben und sie kommen durch die Farben zum Vorschein. Gäbe es die Farben nicht, so könnte der Mensch keiner Sache Gestalt verleihen.
Wem dies jedoch gelingt, der bedarf nunmehr weder des Punktes, des Striches, des Bildes, des Wortes noch der Anweisung oder des Wissenden. Nein! Denn nun ist diese Person selbst zum Wissenden geworden.
Die 2 Arten der Farben.
Folglich werden zwei Arten von Farben unterschieden. Zum einen die Farben, welche die Augen wahrnehmen, zum anderen die Farben, welche die Ohren ansprechen.
Das Farbspektrum, welche die Augen wahrnehmen, umfasst die uns bekannten verschiedenen Farbtöne. Diese werden über die Augen an das Gehirn weitergeleitet, wo sie ein Bild projizieren.
Dann gibt es auch noch die Farben aus unterschiedlichen Klangtönen, welche die Ohren ansprechen, denn jeder Ton ist im Grunde eine Farbe. Diese Klangfarben entstehen durch unsichtbare Klangsignale.
Wenn man zum Beispiel den Klängen einer Geschichte lauscht, so werden deren Klangfarben über das Ohr an das Gehirn übermittelt, wo sie Bilder hervorrufen, sodass man mit den Ohren zu sehen beginnt.
Die Schau mit dem Herzen dahingegen verläuft klang- und wortlos und ist ein Geheimnis, derer man ohne Erlaubnis nicht zuteil werden kann.
Wenn nun alles aus Farben zum Vorschein kommt, was ist dann die Wahrheit hinter den Farben?
Die Wahrheit hinter den Farben ist die Farblosigkeit und Transparenz. Wer die Wahrheit hinter dieser Wahrheit erreicht, wird zum Wissenden und bleibt weder von den Bildern noch von den Farben abhängig.
Wie können wir diese Kraft erlangen?
Indem wir unser Ego bändigen und ihm Ordnung und Disziplin auferlegen. Nur durch die Kontrolle unserer Triebseele vermögen wir jene Kraft zu erlangen. Es gibt keinen anderen Weg.
Warum nicht?
Unsere Empfindungen und Gefühle gleichen einem reißenden Wasserstrom, dem man weder Einhalt gebieten, noch ihn eindämmen kann. Stets läuft er über, überwindet dich und ertränkt dich in der Flut deiner Gefühle.
O Mensch! Lass ab von den Bildern und wende dich demjenigen zu, der diesen Bildern Leben verleiht. Wie könnte das Bild Dasein finden ohne einen Maler? Es könnte nicht sein!
Warum gibt es die Nacht?
Damit alle Bilder, die durch die Sonne bzw. das Licht Dasein finden, mit der Verhüllung des Lichtes sich auflösen.
O Mensch, wisse, dass alles durch das Licht des Schöpfers existiert.
Wenn Er dieses Sein Licht verhüllt, so verschwindet jegliches Dasein.
Wie kannst du dann behaupten, alle Bilder, die du siehst, wären wahr und existierten wirklich. Nein! Die alleinig wahre Existenz ist die des Schöpfers und aus diesem Grund erschuf er die Nacht, auf das die Menschen über die Nacht nachdachten und diese Göttliche Wahrheit begriffen.
Der Tag ist dafür da, dass du den Schöpfer mittels der Bilder und Namen erkennst, und die Nacht dient dafür, dass du dem Betrug, deiner vergötterten und geliebten Trugbilder, gewahr wirst und schließlich anerkennst, dass außer dem Schöpfer nichts existiert.
Folglich existiert der Tag dafür, um den Schöpfer zu finden und die Nacht, um mit Ihm zusammen zu sein. Daher verleiht das Gebet in der Nacht eine besondere spirituelle Kraft, welche den Hütern der Geheimnisse offenbart wird. Daher verkündete der Herr: »Nachts bin Ich Meinen Dienern nahe.«
Wie können wir unser Gehirn von den Bildern befreien?
Indem wir unser Herz und unseren Verstand auf richtige Weise benutzen.
Entsprechend wie wir unser Herz und unseren Verstand richtig benutzen, empfangen sie an Licht. Dieses Licht ist kein gewöhnliches kosmisches Licht, das mit den Augen oder Ohren wahrgenommen werden kann, sondern es erreicht uns aus der Göttlichen Gegenwart und erleuchtet uns mit spirituellem Licht.
So leuchtet dann durch dieses Licht der Dunkelraum um unser Gehirn auf, sodass die Bilder, die den Verstand besetzen, verbrennen. Denn jedes Bild entsteht in einem Dunkelraum, nicht in der Helligkeit.
So heißt es in der Bibel: »Mach dir kein Bild!« Aus diesem Grund und je mehr wir erleuchtet werden, verbrennen, verbrennen, verbrennen die Bilder, sodass schließlich kein einziges mehr übrig bleibt.
Zu dem Zeitpunkt, an dem kein Bild mehr verblieben ist, werden wir dem Geheimnis des Heiligen Verses, »erleuchtet mit Gottes Licht«, zuteil und wir werden anfangen auf die Ereignisse und Bilder mit Gottes Licht zu schauen – denn »wir sind erleuchtet.«
Solltest du dich jetzt beschweren und uns vorwerfen, dass wir am Anfang sagten, der Mensch bedarf der Bilder, so fragen wir dich, warum es die untere Stufe gibt? Um auf die höhere aufzusteigen, oder? Derjenige, der die Leiter erklommen und die höchste Stufe erreicht hat, der benötigt die hinter sich gelassenen Stufen nicht mehr.
Wenn du es besser verstehen willst: Für was braucht jemand, der die Universität absolviert hat, noch sein Grundschulzeugnis? Das Schulzeugnis ist notwendig, um zur Universität zugelassen zu werden. Aber demjenigen, der jetzt das Diplom einer Universität hat, nützt das Schulzeugnis gar nichts mehr. Daher muss derjenige, der angesehen werden will, bei seinen Vorstellungsgesprächen schon das Universitätsdiplom rausholen und vorzeigen. Verstehe endlich!
Eine Geschichte:
Eines Tages sah Jesus, Friede sei auf Ihm, jemanden, der gerade unter einem Baum betete. Während er ihn beobachtete, bemerkte er, dass der Mann behindert war und nicht laufen konnte. Außerdem waren seine beiden Augen blind und seine Haut war von Schuppenflechte befallen. Trotz alle dem erhob der Behinderte seine Hände und betete voll Freude, als ob er gleich fliegen würde:
»O mein Schöpfer, Du hast mir solch eine Gunst erwiesen, die Du etlichen Reichen verwehrt hast! Dank sei Dir in der Anzahl der Blätter auf den Bäumen.«
Daraufhin näherte sich Jesus, Friede sei mit Ihm, dem Behinderten:
»O mein Ärmster. Dein Fuß läuft nicht, dein Auge sieht nicht. Auch dein Körper schaut nicht gesund aus. Trotzdem denkst du, dass dir solch Gaben gewährt wurde wie vielen Reichen nicht, und dafür dankst in großer Freude.
Welche Gabe ist es, die etlichen Reichen nicht gegeben wurde, aber dir?«
Der Behinderte wandte sich in die Richtung, woher die Stimme kam und sagte:
»Ehrenwerter Herr! Gott gab mir ein Herz, durch das ich Ihn erkenne, und eine Zunge, mit der ich Ihm danke. Jedoch gibt es unzählige Reiche, die den Reichtum dieser Welt in ihren Händen halten, aber die Freude, Ihn zu erkennen und Ihm zu danken nicht kennen. Aber schau dir diesen Krüppel an, dessen Füße behindert, dessen Auge blind und dessen Körper von Krankheiten befallen ist, aber dem der Schöpfer Liebe und die Erkenntnis Seiner Gaben gegeben hat. Jedes Mal wenn ich darüber nachdenke, kann ich mich vor Danksagungen nicht halten und bete: O mein Herr, Du hast mir solch eine Gunst erwiesen, die Du etlichen Reichen verwehrt hast! Dank sei Dir in der Anzahl der Blätter auf den Bäumen.«
Dann sagte Jesus, der Friede ruhe auf ihm, zu diesem Mann, dessen Augen des Kopfes verhüllt, aber die des Herzens weit offen waren, »gib mir deine Hand«, bevor er ihn schließlich, dessen Hände haltend, auf die blinden Augen küsste.
Die Augen, die der Prophet mit seinen gesegneten Lippen berührt hatte, öffneten sich sofort. Als der Mann Jesus, auf dem der Friede sei, sah, rief er in Aufregung aus, »bist du nicht der Prophet der Wunder, der die Toten auferstehen lässt und die Kranken heilt?«
»Merkst du es?«, schmunzelte Jesus, auf ihm ruhe der Friede, und der Mann antwortete, »an meinen Augen merke ich es, aber noch nicht an meinen Füßen?« Daraufhin lächelte Jesus, Friede sei mit Ihm, »versuch doch einmal aufzustehen.«
Als er sah, dass er tatsächlich stehen konnte, waren seine ersten Worte:
»O du Prophet Gottes, sind denn all deine Wunder eigentlich nicht vom Allmächtigen? So erlaube mir, ohne mich zu verspäten, Ihm zu danken.« Auf der Stelle ging er in die Niederwerfung und betete:
»Mein Schöpfer! Ich war mit blinden Augen, kaputten Füßen unfähig Dir für die Gaben eines Herzens, das Dich erkennt, und einer Zunge, die Dich lobpreist, ausreichend zu danken. Jetzt da Du mir zwei sehende Augen und zwei laufende Füße beschert hast, weiß ich nicht wie ich Dir angesichts dieser Gaben angemessen danken könnte?«
In der Zwischenzeit versammelte sich das Volk und sie wollten Jesu aufgrund dieses Wunders die Hände küssen. Aber der Prophet Gottes machte ein Zeichen: »Küsst nicht meine Hände, sondern die dieses Mannes in der Niederwerfung!«
Daraufhin fragten sie verwundert: »Die Gaben wie sehende Augen, gesunde Beine für die er sich niederwirft, besitzen wir schon seit Anfang an. Aber keiner von uns hat je so wie er solch eine Freude verspürt.«
Dann sagte Jesus, der Friede sei mit ihm: »Wenn das so ist, denkt nach. Wer nachdenkt, erkennt welch großartigen Gaben er eigentlich besitzt. Wer nicht nachdenkt, meint, er besäße nichts!«
Dies ist die Wahrheit! Wer auf die richtige Weise nachdenkt und mit seinem Herzen und seinem Verstand fündig wird, der bedarf weder gesunde Organe noch Bilder um zu Wahrheit zu finden. Denn, wie in der Geschichte, erlangen wir durch das bloße Sehen nicht, was zählt.
Kurz: Suche nach dem Schöpfer mittels der Bilder und Namen, aber identifiziere Ihn niemals ausschließlich mit ihnen. Sag nicht, wenn du ein Bild siehst, dies wäre Er.
Dies zu verstehen ist sehr wichtig!