Ashure-Tag, Teil 1
Bismillahirrahmanirrahim
Ashure-Tag, Teil 1
Sheikh Eşref Efendi, Berlin 15.01.2015
Bismillahirrahmanirrahim!
Allah Hu, Allah Hu, Allah Hu - Allah!
Ya Selam, Ya Selam, Ya Selam - Ya Allah
Wir bitten, dass der Herr uns segnet. Möge Er uns zu Ehren dieser zehnten heiligen Nacht des Monats Muharrem, in der Errettung und Erlösung kommt, von dem Übel, das uns eingenommen hat, befreien. Möge der Herr die auf uns drückende Schwere und das Leid von uns nehmen - so, wie Er einst die Propheten aus ihren Notlagen befreite.
Unser Vater Adam (Friede auf ihn) wurde von Allah aufgrund eines Fehlers aus dem Paradies in diese Welt geschickt. Dreihundert Jahre stand er weinend auf einem Bein, den Herrn um Vergebung bittend. Ashure bedeutet auf Arabisch ‚zehn‘. Nach dreihundert Jahren, am zehnten Tag des Monats Muharrem, dem Ashure-Tag, erhörte der Herr sein Gebet. An diesem Tag ließ Allah ihn wissen, dass ihm vergeben wurde – und all das Leid, welches er drei Jahrhunderte auf sich nehmen musste, wurde von ihm genommen.
Mit seinem Kopf reichte Adam (Friede auf ihn) bis in die Wolkendecke hinein. Der Mensch im Paradies ist größer als die Menschen hier auf Erden. Denn das Paradies ist endlos weit. Jeder von uns wird eine endlose Weite im Paradies haben. Daher wird der Mensch zwar mit seinem jetzigen Körper, doch mit einer anderen Körpergröße im Paradies zugegen sein. Eine Frohe Botschaft für all jene, die hier kleinwüchsig sind! Doch sollte sich die Freude in Grenzen halten: Jene, die hier auf Erden größer sind, werden auch dort größer sein. Doch niemand wird das wissen – so dass sie alle glücklich sind...
Dreihundert Jahre befand sich unser Vater (Friede auf ihn) wie in einem Kerker in Finsternis. Allah hat ihm die Sicht auf das Paradies verschlossen. Blickte er in den Himmel, war das Licht des Paradieses für ihn nicht mehr sichtbar. Normalerweise schaute Adam (Friede auf ihn) durch den Himmel hindurch. Doch erst am Ashure-Tag nahm ihn der Herr aus der Finsternis und gab ihm die Sicht auf das Licht des Paradieses wieder frei.
Erlöst betete Adam (Friede auf ihn) zu seinem Herrn:
»Oh mein Herr, wann immer meine Nachkommen, meine Kinder, in dieser Welt in Finsternis, in Schwere oder in Not sind: Gib ihnen einen Tag, an dem sie - so wie ich heute - Erleichterung finden werden und sie aus ihrer Finsternis herauskommen können.«
Das Volk des Propheten Moses (Friede auf ihn) litt jahrzehntelang unter der Unterdrückung und Knechtschaft des Tyrannen Pharao.
Es kam der Tag, da Moses (Friede auf ihn) die Kinder Israels versammeln ließ und sie bis ans Rote Meer führte. Scheinbar ausweglos gefangen zwischen den Verfolgern und den Wogen des Meeres öffnete Allah ihnen den Weg durch das Meer. Es ist nicht vielen bekannt, an welchem Tag dies geschah: Es war am zehnten Tag des Muharrem – Ashure – der heutige Tag!
Der Prophet Hiob (Friede sei auf ihn) musste als Prüfung eine schwere Krankheit ertragen: Fast zwei Jahrzehnte, achtzehn Jahre lang, befand er sich in einem Zustand, der seinen Körper und seine Haut faulen ließ. Unter die Menschen konnte er nicht mehr gehen, der faulige Gestank war unerträglich – weshalb sie ihn sowieso verjagten. Zusammen mit seiner Frau zog er sich in eine Höhle zurück. Die Wunden an seinem Körper waren mit Maden durchsetzt. Doch Hiob (Friede auf ihn) akzeptierte seinen Zustand und wartete auf Erlösung durch den Herrn. Fiel eine Made von seinem Körper herab, nahm er sie auf, legte sie in die Wunde zurück und sprach zu ihr: »Wenn der Herr dich durch diese Wunde versorgt, sollst du nicht von der Versorgung abgeschnitten werden.«
Nach achtzehn Jahren folgte der Tag der Erlösung: Hiob (Friede auf ihn) wurde von seinem Leid befreit! Allah sandte den Erzengel Gabriel (Friede auf ihn) zu ihm herab: »Oh Hiob, schlag deine Hand auf den Boden!« Dieser Tat wie ihm geheißen. Augenblicklich brach eine Wasser-Fontäne aus dem Boden empor! Der Erzengel setzte fort: »Geh in dieses Springquell hinein und wasch dich!« So wurde der Körper Hiobs (Friede auf ihn) durch die Heilkraft dieses Wassers vollkommen geheilt! Wie ein Achtzehnjähriger sah er aus – und wenn auch nicht ganz wie achtzehn, dann jedenfalls wie zweiunddreißig – doch fürwahr: Er hatte das Antlitz eines Jünglings!
Die Ur-Christen, die Muslime und auch die Juden fasteten am Ashure-Tag. Einige der jüdischen orthodoxen, denen diese Tradition noch bekannt ist, führen es vielleicht heutzutage fort.
Diese Tradition beruht auf die Errettung des Propheten Noah (Friede auf ihn) und seiner Arche auf dem Meer, als diese endlich wieder auf Land stieß; der Herr befahl der Flut sich zurückzuziehen. Dann sprach Allah den Arche-Bewohnern seinen Befehl aus: »Bevor ihr das Schiff verlasst soll heute niemand essen und trinken, auch die Tiere nicht!« So fasteten sie auf der Arche allesamt am zehnten Muharrem.
Danach endlich wieder auf festem Boden an Land ließ der Prophet Noah (Friede sei mit ihm) alles, was es auf dem Schiff noch an Vorräte gab, an Land tragen und zu einem süßen Brei zusammenmischen – die Ashure!
So wurde die Tradition geboren, sich am zehnten Muharrem an den Tag der Errettung zu erinnern und ihn mit dieser Speise zu feiern.
Das war das erste Mal, dass der Herr auch den Tieren das Fasten und Fastenbrechen auferlegte. So fasteten damals sogar die Tiere – doch die Menschen der heutigen Zeit, unsere zweibeinigen Tiere...
Der letzte der Gesandten, der Prophet Mohammed (Friede und Segen auf ihn) hat seinem Volk – und somit auch uns - auferlegt: »Fastet zusätzlich zum zehnten Tag des Muharrem noch einen weiteren davor oder danach.« Demnach sind diese zwei Tage entweder der neunte und zehnte oder aber der zehnte und elfte Muharrem.
Selbst den Kindern trug er auf, am Ashure-Tag zu fasten. So saß er an jenem Tag mit seinen Kindern und Enkeln zusammen. Um ihnen das Fasten zu erleichtern, nahm er eine Dattel in den Mund, benässte sie und ließ die Kinder daran sanft nuckeln. Dieses kurze Saugen an der Dattel reichte für jedes Kind aus, um bis zum Abend nicht hungrig zu werden. Dies war durch den Segen und die die Kraft des Propheten möglich.
Einst trug es sich zu, dass an einem Ashure-Tag ein Jäger einen Hirsch fing und ihn zum Propheten Mohammed (Friede und Segen auf ihn) brachte: »Oh Gesandter, ich bringe dir diesen Hirsch, damit du mit deinen Gefährten das Fasten mit einem Festmahl brechen kannst.« In diesem Augenblick sprach der Hirsch: »Oh Mohammed, erlaube mir, dass ich vorher noch einmal zu meinen Kindern gehen kann. Ich verspreche am späten Abend zu dir zurückzukehren.«
Der Jäger aber verneinte, das ginge nicht, das Tier solle hier bleiben und warum er überhaupt erst am späten Abend zurückkehren wolle. Der Hirsch erklärte: »Heute ist der zehnte Muharrem, meine Kinder fasten ebenfalls. Bitte lasst mich zurückgehen, um sie zu stillen, ich verspreche, später wiederzukommen.«
Wenn wir von sprechenden Tieren hören, ist das für uns natürlich etwas Außergewöhnliches. Für einen Gefährten des Propheten ist dem nicht so. Sie sind mit ihm aufgewachsen und erlebten an dessen Seite schon ganz andere Wunder - das Sprechen eines Tieres war für sie nichts Besonderes. Ich weiß nicht, was wir getan hätten, ein Tier mit menschlicher Sprache zu erleben...
Wer von euch in Mekka und Medina war weiß, dass es sowieso ein Wunder ist, in dieser Gegend einen verirrten Hirsch vorzufinden.
Ganz abgesehen von den nicht vorhandenen Grünpflanzen, die seiner Nahrung hätten dienen müssen.
Der Prophet sprach: »Mein Gefährte, lass den Hirsch gehen! Schau, fastet doch sogar das Tier an diesem Tag. Zu Ehren dieser Handlung: Lass es frei!«
»Oh Gesandter Allah, ich habe es dir geschenkt, es ist deine Entscheidung.«
»Du bist frei«, sagte der Prophet zum Hirsch, » geh zu deinen Jungtieren!« Und an seine Gefährten gerichtet fragte er: »Nun, wo sind unsere Datteln? Bringt sie her – für unser Fastenbrechen sind sie genügend.« Unter den Umständen, wie die Menschen damals lebten, war es so üblich. Sie portionierten eine Dattel über den Tag hinweg, das war ausreichend für sie.
Warum befahl der Herr an diesem Tag zu fasten? Der Prophet Mohammed (Friede und Segen auf ihn) sagte dazu Folgendes: »Der Moment des höchsten Glücks, der höchsten Glückseligkeit für den Menschen auf Erden ist der Augenblick, wo er sein Fasten bricht, von Hunger und Durst erlöst endlich wieder essen und trinken kann.«
Darin lag der Grund, dass Allah den Menschen der Arche bei ihrer Errettung befahl, sich vom Essen und Trinken zu entfernen, noch bevor sie an Land gingen: Konnten sie dadurch doch die Erlösung in höchster Glückseligkeit zu schätzen wissen.
Ein weiterer Grund, warum an diesem Tag gefastet wird: Der Prophet Noah (Friede auf ihn) rief die Menschen zu deren Rettung vor der Sintflut im Namen des Herrn auf die Arche. Diejenigen, die dem Propheten vertrauten und ihm folgten, waren somit gleichzeitig mit ihrem Herrn und wurden von Allah gerettet. Die aber, die nicht glaubten und Noah (Friede auf ihn) nicht folgten, versanken in den Fluten des Meeres.
Am zehnten Tag des Muharrem zu fasten sehen wir als eine Pflicht an. Denn wenn wir am Abend das Fasten brechen und wieder essen und trinken, ist das wiederum eine Freude für uns. Auf diese Art können wir die Freude mit den Menschen teilen, die sich damals auf der Arche befanden. Es ist in diesem Augenblick auch für uns eine Erlösung. Wir haben einen Anteil daran und gehören dadurch dazu.
Das ist ein Segen und Geschenk Gottes! Würden wir das wirklich zu schätzen wissen, wir würden auch noch morgen fasten.
Wer heute nicht gefastet hat, kann das morgen auch noch tun.
Fatiha